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Zwei Menschen unterhalten sich in Gebärdensprache

Barrierefreiheit ist kein Luxus, sondern ein grundlegendes Menschenrecht, das sicherstellen soll, dass alle Menschen, unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten oder Beeinträchtigungen, gleiche Teilhabechancen und gleichen Zugang zu allen Lebensbereichen erhalten.

Im Kontext von „Behinderung“ denken viele Menschen bei „Barrierefreiheit“ zunächst an barrierefreie Zugänge wie Treppenrampen oder Aufzüge, mit deren Hilfe eine Person im Rollstuhl öffentliche Gebäude oder Bahnsteige erreichen kann. Für hörbehinderte oder taube Menschen hat Barrierefreiheit eine völlig andere Bedeutung, die sich für Laien häufig erst auf den zweiten Blick erschließt – so gibt es ja erstmal keine sichtbaren Schwierigkeiten für taube Menschen, in Gebäude zu gelangen oder an Veranstaltungen teilzunehmen. Jedoch meint Barrierefreiheit im Kontext von Taubheit die kommunikative Teilhabe und den Zugang zu Informationen, der ansonsten auf vielfältige Weise eingeschränkt sein kann.

Zu den Einschränkungen gehören:

  • Barrieren durch fehlenden Kommunikationszugang: Ein Gespräch mit hörenden Menschen ist kaum möglich, wenn diese keine Gebärdensprache beherrschen. Eine Verständigung nur über „Lippenlesen“ ist – anders als manchmal in Film und Fernsehen dargestellt – nicht restlos möglich und auch nicht barrierefrei.
  • Barrieren durch fehlenden Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen: Öffentliche Veranstaltungen können von hörbehinderten und tauben Menschen zwar aufgesucht werden, aber Gebärdensprachdolmetscher fehlen in den meisten Fällen. Häufig muss die taube Person selbst dafür sorgen, dass Dolmetscher bestellt werden und sich um die Kostenabwicklung kümmern.
  • Barrieren durch erschwerte Informationsbeschaffung: Wie bestellt man einen neuen Personalausweis? Informationen auf Websites sind häufig nur schriftlich oder akustisch (Vorlesefunktion) verfügbar und für taube Menschen unzugänglich.
  • Barrieren in der Schule: In den Förderschulen für Hören und Kommunikation fehlen weiterhin gebärdenkompetente Lehrkräfte, obwohl die Universitäten bemüht sind, angehende Pädagoginnen und Pädagogen in Gebärdensprache auszubilden. Im Gemeinsamen Lernen (Inklusion) fehlen ebenfalls Lehrkräfte und Gebärdendolmetscher. Obwohl das Unterrichtsfach „Deutsche Gebärdensprache“ derzeit deutschlandweit etabliert wird, gibt es nicht genügend Lehrkräfte, die das Fach unterrichten können. Für taube Menschen, deren Muttersprache die Gebärdensprache ist und die DGS daher vermitteln könnten, wird der Zugang zur Universität und zur Lehramtsausbildung aber häufig sehr schwer bis hin zu unmöglich gemacht.
  • Barrieren auf der Arbeit: Durch die o. g. Aspekte wird tauben Menschen der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert, im Arbeitsumfeld stoßen sie dann wiederum auf Kommunikations- und Teilhabebarrieren sowie Schwierigkeiten bei der Informationsbeschaffung.

Für taube Menschen ist Gebärdensprache ein essenzielles Mittel zur Kommunikation und Teilhabe. Wenn Informationen z. B. auf öffentlichen Websites nicht in Gebärdensprache zugänglich sind oder die Bereitstellung von Gebärdensprachdolmetschern verweigert wird, werden taube Menschen von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen.

Schriftsprache als Verständigungsform oder Videountertitelung ist hilfreich für die meisten ertaubten oder schwerhörigen Personen, für taube Menschen ist das aber nicht ausreichend. Der Verweis auf vermeintliche Barrierefreiheit durch Übersetzung schriftlicher Texte in einfache oder gar Leichte Schriftsprache, die sich eigentlich vorwiegend an Menschen mit geistiger Behinderung richtet, kann für taube Menschen diskriminierend sein.

Verankert ist „Barrierefreiheit“ in der sogenannten UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK, BMAS 2011), auch bekannt als Behindertenrechtskonvention. Die UN-BRK wurde 2006 von den Vereinten Nationen verabschiedet und trat 2008 in Kraft. Es handelt sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der die Rechte von Menschen mit Behinderung schützt und fördert.

Die UN-BRK enthält mehrere Artikel und Bestimmungen, die für taube Menschen relevant sind, damit ihre Rechte auf vollständige Teilhabe an der Gesellschaft sichergestellt werden:

  • Artikel 9 – Zugänglichkeit: Menschen mit Behinderung sollen Zugang zu Informationen, Kommunikationstechnologien und -systemen erhalten, einschließlich Gebärdensprache und Brailleschrift, damit sie an der Gesellschaft teilhaben können.
  • Artikel 21 – Meinungsäußerung und Zugang zu Informationen: Menschen mit Behinderung haben ein Recht auf Meinungsäußerung und Zugang zu Informationen in einer für sie verständlichen Form, einschließlich der Gebärdensprache.
  • Artikel 24 – Menschen mit Hörbehinderung haben ein Recht auf inklusive Bildung unter Bereitstellung angemessener Unterstützung und Ressourcen, so dass z. B. das Recht auf Dolmetscher besteht.
  • Artikel 30 – Menschen mit Behinderung haben ein Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben, an Erholung, Freizeit und Sport.

In der UN-BRK wird die Wichtigkeit von Gebärdensprache und anderer Formen der Kommunikation (z. B. taktiles Gebärden oder Lormen für Menschen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung) deutlich hervorgehoben. Die Beseitigung von Diskriminierung und Barrieren soll sicherstellen, dass taube Menschen ihre vollen Bürgerrechte und -freiheiten ausüben können.

Wenn der gesetzlich verankerte Anspruch auf Informationen und Teilhabe durch Gebärdensprache immer wieder in Frage gestellt wird, z. B. weil es den Beteiligten zu kompliziert erscheint, DGS-Zugänge zu ermöglichen, dann kann dies den zusätzlichen Effekt haben, dass taube Menschen sich in ihrer bevorzugten Kommunikationsmodalität nicht wertgeschätzt fühlen. Barrierefreiheit beginnt daher für viele taube Menschen schon mit der Anerkennung und Wertschätzung der Gebärdensprache als vollwertige Kommunikationsform und ihre Berücksichtigung im öffentlichen Raum.

Was könnte also getan werden?

Informationen müssen für taube Menschen barrierefrei zugänglich sein. Untertitelung ist ein guter Anfang, aber nur Gebärdensprache und die Bereitstellung von Gebärdensprachdolmetschern eröffnet die vollständige Barrierefreiheit für taube Menschen. Das gilt für Websites, öffentliche Einrichtungen und kulturelle Teilhabe z. B. an Freizeitveranstaltungn.

Es muss mehr Lehrkräfte in Schulen geben, die Gebärdensprache beherrschen, damit taube Kinder Zugang zu Bildung haben. Dabei ist ein partizipativer Ansatz wichtig: ohne die Expertise von Muttersprachlern kann das Unterrichtsfach Deutsche Gebärdensprache nicht angeboten werden. Wichtig sind außerdem Unterrichtsmaterialien, die DGS-orientiert sind und die besondere Lebenssituation und Kultur von tauben Menschen berücksichtigen.

Gebärdensprachdolmetscher tragen zur Barrierefreiheit bei. Der Zugang zu Dolmetschern muss vereinfacht werden. Öffentliche Veranstaltungen sollten nicht nur eine Rollstuhlrampe vorweisen, sondern auch Gebärdensprachdolmetscher vorweisen können.

Arbeitsplätze müssen barrierefrei sein, so dass taube Mitarbeiter an Besprechungen mit ihren hörenden Kolleginnen und Kollegen durch Bereitstellung von Dolmetschern teilnehmen können. Schulungen für die hörenden Personen im Betrieb sind wichtig, damit diese mehr über das Leben und die Kultur tauber Menschen erfahren und sensibel für die Bedürfnisse werden. 

Die Sensibilität für die Deaf Community sollte in der hörenden Bevölkerung gestärkt werden. Es existieren viele Vorurteile über taube Menschen, aber auch stereotype Vorstellungen über vermeintliche übermenschliche Fähigkeiten, z. B. dass taube Menschen ein extrem gutes Sehvermögen hätten (was in vielen Fällen sicherlich nicht falsch ist, aber eben auch nicht auf alle zutreffen muss). Die Deaf Community ist ebenso wie die hörende Mehrheitsgesellschaft durch Vielfalt und Diversität geprägt. Es gibt nicht DIE typische taube Person, genauso wenig wie es DIE typische schwerhörige oder DIE typische hörende Person gibt.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Barrierefreiheit gerade für taube Menschen untrennbar mit der Anerkennung der Gebärdensprache verbunden ist, da diese nicht nur Kommunikationsform, sondern auch Bestandteil der kulturellen Identität tauber Menschen ist. Taube Menschen haben ein Recht auf Gebärdensprache – um Barrierefreiheit zu ermöglichen, ist die zunehmende Berücksichtigung und Stärkung von DGS in der hörenden Welt ein wichtiger und notwendiger Schritt in Richtung einer inklusiven Gesellschaft für alle.

Literatur:

BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) (Hrsg.). Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Online verfügbar unter:

PDFUN-Behindertenrechtskonvention

Der Artikel zum Thema barrierefreie Kommunikation wurde von Frau Prof. Dr. Schäfer (Uni Köln) publiziert.