"Vor etwas mehr als zwei Jahren, aus heutiger Sicht in normalen Zeiten, haben Die Prinzen hier im Park von Schloss Bellevue ein Konzert gegeben. Es war natürlich ein toller Auftritt, ein Glanzpunkt unseres Bürgerfestes, vielleicht auch, weil Prinzen ja immer ganz gut in einen Schlosspark passen. Was viele Besucherinnen und Besucher aber noch mehr begeistert hat als die Musikgruppe, war die Gebärdendolmetscherin am Bühnenrand. Sie hat nicht nur Liedtexte übersetzt, sondern auch die Musik mit viel Schwung für alle sichtbar gemacht. Ich glaube, viele im Publikum haben ihretwegen noch besser verstanden, worum es in dem Song "Du musst ein Schwein sein" eigentlich geht.
Es war damals nicht das erste Mal, dass wir beim Bürgerfest das komplette Bühnenprogramm in Gebärdensprache haben dolmetschen lassen. Und auch sonst achten meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier im Amt darauf, zumindest einige Reden übersetzen zu lassen. Aber ich finde, wir sollten in Politik und Gesellschaft noch viel häufiger prüfen, ob es eine Möglichkeit gibt, Ansprachen, Moderationen oder eben auch Konzerte zu gebärden. Das ist wichtig, damit gehörlose Menschen möglichst alles mitverfolgen können. Aber es hilft auch uns allen, Worte und Klänge mit neuen Augen zu sehen.
Sprache verbindet, sie ist ein wichtiger Schlüssel zur Welt. Sie erschließt uns mehr als Informationen, sie überbringt Emotionen: Freude und Trauer, Aufregung und Langeweile. Heute, am Internationalen Tag der Gebärdensprachen, richten wir unsere besondere Aufmerksamkeit auf all die Menschen, die ihre Sprache mit ihren Händen, ihrer Gestik und Mimik formen.
Viele hörende Menschen in unserem Land wissen noch immer wenig über die Gebärdensprachen. Oder sie machen sich ganz falsche Vorstellungen davon. Die Deutsche Gebärdensprache ist zum Beispiel keine Fremdsprache, sie ist Deutsch. Und sie ist auch kein Nischenphänomen, sondern eine Sprache mit einer eigenen Kultur.
Vor allen Dingen aber gehört die Gebärdensprache zu unserem Land. Sie gehört in unseren Alltag, mitten in unsere Gesellschaft. Gebärdensprache ist für alle da, weil sie Barrieren zwischen den Menschen überwindet. Wir alle sind gefordert, die Barrieren niederzureißen, die es, allen Fortschritten zum Trotz, immer noch gibt. Und es gibt sie in Ämtern und Behörden, Arztpraxen, Krankenhäusern, Firmen und Vereinen. Auch das Bundespräsidialamt ist da noch nicht in allen Belangen perfekt. Aber wir wollen und müssen besser werden. Denn unsere Demokratie braucht Barrierefreiheit. Sie lebt davon, dass Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam am öffentlichen Leben teilnehmen können.
Als Bundespräsident ist mir heute diese Botschaft wichtig. Egal, ob Sie gehörlos sind oder nicht: Ich stehe an Ihrer Seite, wenn Sie für weniger Barrieren und für mehr Gleichberechtigung kämpfen; wenn Sie auf die besonderen Belange von Menschen mit Behinderungen hinweisen; wenn Sie sich Gehör verschaffen für eine bessere Gesellschaft für alle Menschen – mit und ohne Gehör. Sie alle haben meine Anerkennung, Sie haben meine Solidarität!
Das gilt in Zeiten von Corona mehr denn je. Das Virus trifft uns nicht alle gleich. Wenn Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen schließen und wir auf Abstand gehen müssen, dann leiden darunter besonders stark all jene, die auf Unterstützung und Nähe angewiesen sind. Lassen Sie uns aus diesen Erfahrungen lernen. Die Krise hat uns zum Beispiel vor Augen geführt, wie dringend Regierung und Verwaltung ihre Angebote in Gebärdensprache ausbauen müssen, um gehörlose Menschen schnell mit allen nötigen Informationen versorgen zu können.
Der Kampf gegen die Pandemie wird uns noch lange beschäftigen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass Sie auch in Zeiten der Krise Ihre Stimme erheben. Bleiben Sie hörbar, bleiben Sie sichtbar – heute, am Internationalen Tag der Gebärdensprachen, wie an jedem anderen Tag."
DGS-Video finden Sie im Link: