„Deaf Ohr Alive NRW“ heißt die Abteilung Junge Selbsthilfe des Cochlea Implantat (CI) Verbands NRW. Deren Mitglieder haben sich zum Ziel gesetzt, jungen Menschen mit Hörminderung, insbesondere CI-Träger*innen von 18 bis 35 Jahren, eine Plattform zum Austausch zu geben und an gemeinsamen Aktivitäten teilzunehmen. Welche Ziele die coole Truppe hat und was das Gruppenleben so besonders macht, darüber sprachen wir mit Toby Raulien vom Leitungsteam. Im Vorgespräch haben wir uns auf ein kollegiales „Du“ verständigt.
Interview: Michael Kalthoff-Mahnke, KSL-MSi-NRW
Hallo Toby. Du bist seit 2019 Mitglied im Leitungsteam der Abteilung Junge Selbsthilfe des CIV NRW und seit 2024 auch Beisitzer im Vorstand es CIV NRW. Magst du uns kurz ein paar Infos zu deiner Person geben?
Toby: Klar, gerne. Ich bin 34 Jahre alt. Geboren bin ich in Hamm und von Beruf Verwaltungsfachangestellter. Ich habe zehn Jahre lang bei der Stadt Hamm gearbeitet und bin dann 2023 zur Polizei Dortmund gewechselt. Eigentlich hatte ich mich bei der Stadtverwaltung Dortmund beworben, weil die so einen guten Ruf als Arbeitgeberin hatte. Aber nach sechs erfolglosen Vorstellungsgesprächen habe ich es schließlich bei der Polizei versucht. Die suchten damals händeringend Fachpersonal und haben mich gleich eingestellt. Dort bin ich heute in der Kriminalaktenhaltung innerhalb der Kriminalpolizei beschäftigt.
Wie bist du zum CIV NRW gekommen?
Toby: Ich bin mit 15 Jahren an einem Virus schwer erkrankt. Die Krankheit hatte eine ähnliche Symptomatik wie Hirnhautentzündung und ist mir halt auf den Hör- und Sehnerv geschlagen. Seitdem bin ich stark hör- und auch sehbehindert. Sechs Monate nach der akuten Erkrankung wurde mir links das erste CI eingesetzt.
Das war damals eine total schwierige persönliche Situation für mich. Abgesehen von der Schule hatte ich lange Zeit, knapp 12 Jahre, keinen Kontakt zu Gleichbetroffenen, geschweige denn zur Selbsthilfe. Auch wenn ich 2009 versucht habe, das aufzubauen, was ich heute mache. Anfang 2018 habe ich dann zufällig über Facebook vom Fotoworkshop des CIV NRW erfahren. Ich war und bin Hobby-Fotograf, und insofern war das ein absoluter Glücksfall. Denn in dieser Gruppe fand ich Gleichgesinnte, die einerseits mein Hobby, andererseits aber auch meine Behinderungsform teilen. Die haben mich gleich verstanden, und ich habe mich sehr schnell sehr wohl gefühlt in dieser Gruppe. Hier musste ich mich nicht großartig erklären, was mit mir los war. Ich war und bin einer von ihnen. Die Gruppe hat mir unter anderem auch die Kraft gegeben, mir trotz einer hypochondrischen Angsterkrankung 2022 das zweite CI implantieren zu lassen.
Du hast dann recht schnell auch Verantwortung im Verband übernommen …
Toby: … ja, stimmt. Irgendwie haben zwei Leute aus dem Verband wohl damals schon etwas in mir gesehen, was ich lange Zeit selber nicht in mir gesehen hatte. Vor allem die Vorsitzender Marion Hölterhoff hat mich dann so’n bissken in die Junge Selbsthilfe geschubst und mich gefragt, ob ich Lust hätte, eine Gruppe mit aufzubauen. Das war 2018. Ein paar Monate später bin ich dann ins Leitungsteam berufen worden.
Was waren damals deine Beweggründe?
Toby: Ich hatte Ideen und großen Bock, diese im Team mit den anderen umzusetzen. Meine Motivation ist bis heute, ein Stück von dem zurückzugeben, was ich damals selbst von den Menschen in dem Verband erfahren habe. Nähe, Wärme, Verständnis, Herzlichkeit, die familiäre Atmosphäre. Aber auch die Fachkompetenz rund um das CI und damit zusammenhängende Themen. Das Konzept der Selbsthilfe entspricht auch in vielem meinem Wesen: Anderen zu helfen, sich zu helfen, mir zu helfen, ihnen zu helfen.

Eure Gruppe nennt sich „Deaf Ohr Alive NRW“. Kannst du das kurz erklären, was es damit auf sich hat?
Toby: Das bedeutet „Taube Ohren – quicklebendig“ und ist das Motto der Jungen Selbsthilfe unserer Dachorganisation „Deutsche Cochlea Implantat Gesellschaft“ (DCIG). Da gehören wir in NRW natürlich dazu.
Was sind eure Ziele? Wer kann mitmachen?
Toby: Zielgruppe sind junge Menschen mit Hörminderung, vor allem CI-Träger*innen, von 18 bis 35 Jahren. Wir bieten eine Plattform zum Austausch und Wissensvermittlung über alle Themen rund um das CI und Hörminderung an und organisieren gemeinsame Aktivitäten. Wir sind Teil einer lebenslustigen Gemeinschaft von Andershörenden, die durch Emotionen und Spaß geformt wird. Wir leben das Konzept der Selbsthilfe. Wir helfen Menschen, sich selbst zu helfen. Es ist ein Geben und Nehmen.
Wie sehen eure Angebote im Einzelnen aus?
Toby: Das ist sehr unterschiedlich. Wir bieten themenorientierte Seminare und Workshops an. Zum Beispiel „Kommunikation mit einer Hörbehinderung“. Dabei ist auch ein Improvisationstheater-Seminar, bei dem man die eigene Schlagfertigkeit trainieren kann. Denn Schwerhörende hören auch langsamer. Wenn man dann ein wenig schlagfertig ist, kann das im Alltag hilfreich sein. Wir bieten Empowerment-Workshops an, bei dem man die Stärken kennenlernt und als persönliche Ressource begreifen kann. Wir bieten natürlich auch Technik-Seminare zusammen mit unserem CIV NRW-Verband an, damit man weiß, wie die Hilfsmittel funktionieren und auch immer auf dem neuesten Stand ist. Beliebt bei den Teilnehmenden sind auch unsere regionalen Stammtische, sportliche Events und andere Ausflüge.
Und last but not least schaffen wir für alle Betroffenen auch so eine Art Schutzraum. Hier können sich alle öffnen, ohne dafür verurteilt zu werden oder sich verstellen zu müssen. Das gelingt uns ganz gut. Da werden auch schon mal Tränen vergossen, denn man steht im Alltag auch immer unter großem Druck. Bei uns kann jeder auch mal Dampf ablassen, und dafür spüren wir große Dankbarkeit.
Wie groß ist eure Gruppe heute?
Toby: Der harte Kern von Leuten, die immer bis regelmäßig auf den Veranstaltungen anzutreffen sind besteht schätzungsweise aus 20 bis 40 Personen. Im Mailverteiler oder der WhatsApp-Gruppe sind es allerdings schon weit über 150 Personen, die sich auch alle immer mal wieder blicken lassen und beteiligen. Und wir wachsen weiter.
Toll! Viele Vereine beklagen Nachwuchsmangel. Was macht ihr anders, dass bei euch neue Leute kommen?
Toby: Ich habe da eine ganz einfache Theorie. Wir locken die Leute mit dem Spaß. Über den Spaß kommt das Wohlfühlen. Über das Wohlfühlen kommt es, dass man sich öffnet. Und über das Sich öffnen kommt das Arbeiten an sich selbst und seiner eigenen Problematik. So wächst Vertrauen. Deshalb kommen so viele Leute wieder und wieder. Dann spricht es sich dann natürlich auch rum, dass wir `ne coole Truppe sind, wo man Spaß haben und sich wohlfühlen, wo man sich öffnen kann. Das heißt aber auch, dass wir nicht nur über unsere Hörbehinderungen sprechen. Wir reden über Gott und die Welt. Es haben sich in unserer Gemeinschaft schon viele tiefe Freundschaften und sogar feste Partnerschaften entwickelt. Bei den Stammtischen gibt es immer wieder Neugierige, die persönlich oder durch Medien von uns erfahren haben. Und meistens kommen die auch wieder.
Zuletzt bekamen wir ein schönes Kompliment: „Ihr schafft es, eine Gruppe von vielen Freunden zu sein, die aber immer offen bleibt für neue Gesichter, so dass diese sich auch wohl fühlen. Das ist ein Kunststück.“ Sowas macht uns stolz.
Was habt ihr in der nahen und ferneren Zukunft vor?
Toby: Wir wollen unsere bestehenden Angebote festigen und weiterentwickeln. Dann werden sicher auch wieder neue Themen dazu kommen. So planen wir ein Musikseminar und weiter auch Sportangebote, die die Gemeinschaft fördern. Dabei wenden wir uns immer wieder an junge Leute, die Bock haben, sich zu engagieren. Das ist sowohl in der Jungen Selbsthilfe als auch im gesamten Verband wichtig. Und wir wollen sichtbar sein als Selbsthilfe-Gruppe, die verdammt viel Spaß und Energie hat, selbstwirksam zu sein, eigene Ziele zu entwickeln und in der Gemeinschaft umzusetzen. Davon sollte man sich einfach anstecken lassen.
Wichtig zu erwähnen ist auch: Je stärker die Junge Selbsthilfe, desto stärker und zukunftssicherer der Verband, desto stärker die DCIG und desto lauter können wir auch in der Landes- und Bundespolitik für die Rechte und Bedürfnisse der Menschen mit Hörbehinderungen streiten, von denen es in Deutschland weit mehr als zehn Millionen gibt.
Danke, Toby, für dieses energiegeladene Gespräch. Wir wünschen dir und deinen Mitstreiter*innen weiterhin viel Erfolg.
Weitere Informationen und Kontakte zur Jungen Selbsthilfe des CIV NRW gibt es auf der Website des Verbands https://doa.civ-news.de/
